In diesem Jahr werden unsere Kindertagesstätte und der damit verbundene Kapellenbau, die Siedlungskirche, 85 Jahre alt. Im Vorraum des Kirchsaales sind einige Photos und Dokumente aus dem Jahr 1935 zu sehen, auf denen der damalige Siedlungspfarrer Hans Böhm „mit deutschem Gruß“ zeichnet. Dies, weitere Schriftstücke im Archiv, im Mai 1935 gar mit „Heil Hitler“ von ihm signiert und seine Mitgliedschaft in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) lassen vermuten, dass es sich bei Böhm um einen recht staatstreuen Pfarrer in den dunklen Jahren der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 handelte.
Überrascht war ich daher, dass bei den damaligen Vorbereitungen zum 80-jährigen Jubiläum der Siedlungskirche 2015 Dokumente und Hinweise zum Vorschein kamen, die das genaue Gegenteil belegen: Hans Böhm war einer der führenden Persönlichkeiten der oppositionellen „Bekennenden Kirche“! Als deren Schatzmeister, Sprecher und ökumenischer Referent spielte er eine führende Rolle im Kirchenkampf, wurde viermal verhaftet und überlebte, von schwerer Krankheit gezeichnet, das Ende der Nazidiktatur.
An der Gestaltung der Siedlungskirche und an den protokollarischen Einzelheiten der Eröffnungsfeier am 27. Oktober 1935 wird deutlich, wie sich Entstehen und Leben der Siedlungskirche damals gegen das staatstreue Gehabe der vom Nationalsozialismus beherrschten Offizialkirche abhoben: Neben den Mitgliedern des Gemeindekirchenrates und den Repräsentanten des Kirchenkreises zogen zum Festgottesdienst in die neu errichtete Kirche auch der Bruderrat der Bekennenden Kirche ein. Nach der Predigt Böhms hielt der Präses der Bekenntnissynode und spätere Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Kurt Scharf, die Eröffnungsansprache. An der Ausgestaltung der Kirche waren Künstler beteiligt, die in der Zeit des Nationalsozialismus als „entartet“ galten; so der Maler Moritz Melzer, der den Altarraum ausmalte, und Hans Mettel, der die Eingangstür gestaltete.
Ein weiteres Fundstück zu Böhms Wirken in und um Teltow war ein Mitgliedsausweis der Evangelischen Bekenntnisgemeinde Ruhlsdorf ausgestellt im April 1935, von ihm für den Brüderrat unterzeichnet, den mir ein altes Mitglied der Gemeinde stolz präsentierte. Und dann gibt es Spuren „ganz normalen“ Wirkens eines Pfarrers: Einträge in den Kirchenbüchern zu Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen, ein Photo einer Konfirmation, auch eine Trauurkunde, von ihm ausgestellt, die mir bei einem Beerdigungsgespräche gezeigt wurde. Und noch einmal tauchte der Name Hans Böhm im Zusammenhang mit der Siedlungskirche auf: Inzwischen als Propst der Evangelischen Kirche in Berlin Brandenburg vermittelte er nach dem Zusammenbruch Deutschlands zwei zuvor in der Ostmark für Kriegszwecke beschlagnahmte Glocken, die nicht dorthin zurückgeführt werden konnten, da der Ursprungsort Neudamm – inzwischen Debno – nun zu Polen gehörte.
Wer war Hans Böhm? Die Recherche zu Person und Leben gestaltete sich nicht ganz einfach. Anders als zu Größen des kirchlichen Widerstandes wie z. B. Bonhoeffer, Albertz oder Niemöller gibt es zu Böhm keine zusammenhängenden Veröffentlichungen, keinen Eintrag in den einschlägigen biographischen Nachschlagewerken, nicht einmal eine Wikipediaseite. Letztere konnte nun im Januar erstellt werden. Aber kein Ehrengrab erinnert an ihn, gerade einmal eine kleine Straße in Zehlendorf trägt seinen Namen. Daher soll nun an dieser Stelle im 85-jährigen Jubiläumsjahr von Kindertagesstätte und Siedlungskirche in Fortsetzungen ein Leben skizziert werden, das über Teltow hinaus für unsere gesamte Landeskirche von Bedeutung war. Fortsetzung folgt!
Thomas Karzek