Große Not prägte das letzte Kriegsjahr 1918 in Teltow: „Grippe und Unterernährung, Seuche und Hunger hießen die Werkzeuge des Todes“. Die Zahl der Beerdigungen stieg von 66 im Jahr 1917 auf 79 im Folgejahr. Dennoch gab es auch Lichtblicke. Es gelang Macholz und seinem Gemeindekirchenrat einen lang gehegten Wunsch nach einem Gemeindehaus zu verwirklichen: „Das Angebot, das Schifferkinderheim in Teltow, das nicht mehr für den ursprünglichen Zweck verwendet werden konnte zu mieten, wurde angenommen“. Hier fand „die neu belebte Jugendpflege und die neu geschaffene Kleinkinderpflege ihr Heim“. Fabrikleitungen, das Kriegsamt und der Evangelische Oberkirchenrat wurden zur Mitfinanzierung des Vorhabens aufgerufen. Drei Schwestern des Diakonissenhauses und ein Hausmädchen betreuten fortan das Kleinkinderheim und die Versammlungen der beiden Mädchenvereine und des Jünglingsvereines.
Das Kriegsende im November 1918 mit dem Waffenstillstand von Compiègne führte in Deutschland zu einschneidenden Veränderungen. Neben dem Verlust der Kolonien, Gebietsabtretungen, Abrüstung und Reparationszahlungen an die Siegermächte lähmte eine große wirtschaftliche Not das Land. Nach der Novemberrevolution 1918 und der Abdankung des Kaisers schien Deutschland führungslos. Machtansprüche verschiedener Gruppierungen mündeten in Unruhen und Straßenkämpfen. Macholz beschreibt diese Zeit im Jahr des „Zusammenbruchs“ als „die schlimmsten Monate der Kriegs- und Revolutionsnot“ mit „Störungen, Einquartierungen, Spartakusunruhen, kaum zu ertragender Kohlennot und Epidemien“ und beklagt „Schmach und Elend dieser Tage“.
Die Abdankung Kaiser Wilhelms II, der als König von Preußen auch oberster Bischof der evangelischen Staatskirche war, bedeutete einen fundamentalen Umbruch im Verständnis von Kirche, ihrer Struktur und ihrer Finanzierung. Waldemar Macholz, wie alle Theologen seiner Zeit königstreu ausgebildet, oblag es nun, die Umwälzungen in seinem Kirchenkreis und seiner Kirchengemeinde Teltow zu moderieren und die Kirche in eine neue Zeit zu führen. Er benutzte hierfür den Begriff des Übergangs „von einer Obrigkeitskirche zur Volkskirche“.
In zahlreichen Versammlungen wurde das Vorhaben der Trennung von Staat und Kirche diskutiert. Eine dieser Versammlungen drohte allerdings wegen der Unruhen zu scheitern. Wegen des Anrückens des Spartakusbundes waren die Straßen in Teltow militärisch geräumt, zudem streikten die Straßenbahner. Im Studierzimmer des Pfarrhauses zogen sich 40 Marinesoldaten um. Dennoch kamen die Teltower Gemeindeglieder zahlreicher als gedacht in die Kirche. Mitgebrachte Petroleumlampen „ergänzten das trübe Licht der elektrischen Birnen“.
In dieser und in vier weiteren Versammlungen in Teltow wurden Ausschüsse gebildet, die Fragen der Finanzen, des Religionsunterrichtes, der Verfassung, der Organisation und der Werbung berieten. Die Gründung einer kirchlichen Spar- und Darlehnskasse als Genossenschaftsbank wurde angeregt, um neue Finanzquellen zu erschließen.
Bei den Wahlen zur ersten deutschen Nationalversammlung im Januar 1919 errangen die Sozialdemokraten auch in Teltow die meisten Stimmen. Mit 1.557 Stimmen lagen sie weit vor den Rechtsparteien mit 546, den Unabhängigen mit 151, den Demokraten mit 149 und dem Zentrum mit 36 Stimmen. Macholz registrierte eine zunehmend kirchenkritische Stimmung. Die Weimarer Verfassung von 1919 beschrieb das Ende der Staatskirche und betonte die weltanschauliche Neutralität des Staates und die Selbstbestimmung aller Religionsgemeinschaften.
Es war eine völlig neue Situation, dass die Kirche nun um ihren Platz in der Gesellschaft kämpfen musste. Macholz bemerkte es in Teltow besonders im „Kampf um den kirchlichen Einfluss in den Schulen“. Er klagte darüber, dass „lokale Parteiführer in antikirchlichen Versammlungen präsidieren“. Kirchenaustritte mehrten sich; im Jahr 1919 waren es allein 63. Kirchliche Vorträge und Bildungsangebote konkurrierten plötzlich mit den Veranstaltungen der neu gegründeten Volkshochschulen. Freikirchen warben um Mitglieder und deren Prediger traten parallel zu den Teltower Gottesdienstzeiten auf.
Und noch ein Thema bewegte die Teltower Gemüter: Nach dem Kriegsende wurden die Bemühungen um die Gründung von Groß-Berlin wieder aufgenommen. Auch Teltow, das 1912 bereits dem Zweckverband beigetreten war und sich daher Berlin-Teltow nennen durfte, stand als Beitragskandidat zur Debatte. Es lag vor allem am Widerstand des Teltower Landrates Adolf von Achenbach, dass Teltow 1920 nicht Teil Groß-Berlins wurde. Die Auswirkungen auf den Kirchenkreis Kölln-Land I, der von Gröben bis nach Berlin-Friedenau und von Diedersdorf bis Berlin-Wilmersdorf reichte und dessen Superintendent Macholz in Teltow saß, wurden kontrovers diskutiert. Vor allem der Anschluss an den Berliner Stadtsynodalverband, der in den Berliner Innenstadtgemeinden den Kirchensteuereinzug regelte und dem Grundstücks- und Baufragen oblagen, erschien einigen Synodalen bedenkenswert. Macholz begründete den Widerstand gegen diese Pläne mit einem Zitat aus dem Kreis seiner Pfarrer: „Lieber in der Verwaltungsarbeit ersticken, als die (Berliner) Stadtsynode herbeirufen!“ Auch untermauerte er diese Ablehnung mit der Feststellung eines Zusammenhanges „zwischen dem regeren kirchlichen Leben unserer Vorortgemeinden und ihrer Finanzhoheit“.
Thomas Karzek