Von Teltow nach Shanghai
Mancher kennt das alte Stadthaus in der Potsdamer Straße 49 mit den verklinkerten Bögen. Vor knapp 100 Jahren lebte und arbeitete dort der jüdische Zahnarzt Dr. Julius Rosenberg.
Er wurde 1882 in Warschau geboren, seine Frau Polly 1872 in Odessa. 1914 heirateten sie in Erkelenz bei Aachen, wo Julius Rosenberg eine Zahnarztpraxis betrieb. 1917 kam Sohn Wilhelm zur Welt, 1921 Tochter Irma. Ab 1922 praktizierte Julius Rosenberg in Teltow. Wo er zu dieser Zeit seine Praxis hatte, ist nicht bekannt. 1928 erfolgte der private und berufliche Umzug in das neue Stadthaus in der Potsdamer Straße. Tochter Irma wurde in Teltow eingeschult. Eine ehemalige Mitschülerin erinnerte sich noch 2010 an Kindergeburtstage bei den Rosenbergs.
Doch die Zeiten änderten sich: Ab Juni 1933 durfte Julius Rosenberg nicht mehr als Zahnarzt arbeiten. Er musste Praxis und Wohnung aufgeben und zog nach Berlin. 1938 gelang es der Familie aus Deutschland zu fliehen. Tochter Irma erreichte im April Argentinien. Bruder und Eltern entkamen ein halbes Jahr später einzeln nach Shanghai, dem letzten Ort, der noch Flüchtlinge aufnahm. Die Menschen dort litten Hunger und die hygienischen Verhältnisse im feuchtheißen Klima waren schlecht. Julius Rosenberg konnte beruflich nicht mehr Fuß fassen, da er kein zahnärztliches Inventar mehr besaß.
Erst Ende 1948, nach der Gründung Israels, konnten die staatenlos gewordenen Rosenbergs Shanghai Richtung Haifa verlassen. Aus ihrem Entschädigungsantrag geht hervor, dass Polly Rosenberg 1952 in Paris nach 14 Jahren endlich ihre Tochter wiedersehen konnte. Julius Rosenberg erreichte Paris 1953. Irma Rosenberg war beim Versuch Argentinien Richtung Shanghai zu verlassen, in Algerien interniert worden, da die Kolonialmacht Frankreich die junge Deutsche als gefährliche Person einstufte. Nach dem Krieg hatte sie sich zu einer Tante nach Frankreich durchgeschlagen.
Erst 1960 erhielten die Eheleute endlich eine kleine Rente. Der Schriftverkehr ihrer Entschädigungsakte gibt einen tiefen Einblick in das Schicksal einer Familie, die durch den Rassenwahn der Nationalsozialisten auseinandergerissen und ihrer Existenz beraubt wurde. Julius Rosenberg starb 1963 in Paris, Polly Rosenberg 1970 in Charenton-le-Pont.
Text: Annegret Himrich (Geschichtswerkstatt Teltow e.V.)
Am 7. März 2025 werden für die Rosenbergs und fünf weitere Opfer der NS-Terrorherrschaft Stolpersteine verlegt. Wer einen Stein spenden möchte (Kosten 120 Euro), wende sich bitte an: Dr. Gabriele Bergner Tel. 03328 338579 gabriele.bergner@online.de
Insgesamt 26 Stolpersteine erinnern in unserer Stadt an das Schicksal Teltower Bürgerinnen und Bürger, die während der nationalsozialistischen Diktatur verfolgt, misshandelt oder sogar ermordet wurden. Die AG Stolpersteine der Geschichtswerkstatt Teltow hat in den letzten Jahren die Schicksale weiterer Opfer recherchiert.
Am 6. März 2024 um 13:30 Uhr werden deshalb im Beisein des bekannten Künstlers und Stolperstein-Begründers Gunter Demnig an sechs Orten acht weitere Steine verlegt. Treffpunkt für alle Interessierten ist die Mainstraße 5 in Teltow. Weitere Stationen sind dann Walter-Rathenau-Straße, Striewitzweg, AugustBebel-Straße und Hamburger Platz.
Einer von ihnen wird an Auguste Fischer erinnern. Als Auguste Michel wurde sie am 30. November 1881 in Manchester geboren. Sie heiratete 1903 den drei Jahre älteren Steingutdreher Paul Fischer aus Schlepzig bei Lübben. Seit 1908 lebten die beiden in Teltow in der Elsterstraße 1, die später in Hamburger Platz umbenannt wurde. Dort lebten viele Arbeiter aus der Teltower Porzellanfabrik. Das Paar blieb kinderlos und Paul Fischer starb am 9. Dezember 1940. Ohne den Schutz ihres nichtjüdischen Ehemanns war Auguste Fischer dann auf sich allein gestellt.
Am 7. April 1942 erhielt sie eine Postkarte, mit der sie ins Rathaus einbestellt wurde. Dort erhielt sie zur Vorbereitung ihrer „Auswanderung“ eine seitenlange Vermögenserklärung, die sie am 9. April ausfüllte. Daraus geht hervor, dass Auguste Fischer mittellos und schuldenfrei war. Ihr Besitz beschränkte sich auf das nötigste an Möbeln, Hausrat und persönlichen Dingen. Gewissenhaft führte sie jeden Gegenstand auf - sogar „eingeweckte Vorräte“ im Wert von 0,90 und „weitere Vorräte“ im Wert von 0,50 Reichsmark gab sie an. Schon am 14. April 1942 begann dann für die 60-Jährige mit dem XIII. Osttransport von Berlin nach Warschau die Reise in den Tod.
„Abgeschoben in Reichsgebiet“ steht auf der Karteikarte, die der Reichsvereinigung der Juden zugestellt wurde; „jetzt unbekannten Aufenthalts“ heißt es in einem Schreiben des Finanzamts Teltow, das akribisch über den Besitz der Verschleppten wachte und am 22. Juli 1942 festhielt: „Die noch in dem Keller 5 lagernden Kartoffeln und Kohlen werden dem neuen Mieter zum ortsüblichen Preis übergeben. Der Mieter hat diesen Betrag an das Finanzamt Teltow direkt abzuführen.“ Am 8. Oktober hakte man noch einmal beim Bürgermeister nach, „…ob die in vorstehender Judensache dort lagernden Kartoffeln und Kohlen verwertet bzw. verkauft sind.“ Am 9. Oktober hieß es dann abschließend: „Die Verwertung der Kohlen ist vorgenommen und wurde der Preis mit 6,43 RM festgesetzt. Bei den Kartoffeln handelte es sich um alte, nicht mehr verwendbare Lebensmittel. Sie werden deshalb für Viehfütterung abgegeben und zwar unentgeltlich.“ Auguste Fischer war da bereits tot.
Wer einen Stolperstein spenden möchte, kann sich gerne an Dr. Gabriele Bergner wenden: 03328 338579, 0160 95386993, gabriele.bergner@online.de